Trauern wird oft als Markel wahrgenommen, zu lang zu viel, nicht richtig, „es war doch nur ein Tier“ (hier zu meinen Blogartikel „Trauer um das geliebte Haustier: Wenn der Abschied schwerfällt und das Herz schmerzt“). Es ist kein Platz in unserer schnelllebigen Welt für wahre Gefühle. Dabei sind sie so wichtig: Trauer ist kraftvoll. Sie führt uns nicht weg vom Schmerz, sondern mitten hindurch. Und zwar dorthin, wo das Leben weitergeht.
Früher dachte ich, dass ich es niemals überstehen würde. In meine Kopf malte ich mir aus, wie ich für immer schwieg, wenn einer geliebten Person etwas zustoßen würde. Dann kam der Moment, in dem genau das passierte: Ein geliebter Mensch starb.
Ein Anruf um kurz 23.17. . Ich lag schon im Bett. Diese Zeit hat sich eingebrannt in meinen Kopf. Dabei waren wir gestern doch noch Eisessen, haben gelacht und uns wundervoll unterhalten. Auch diese vielen kleinen Details unseres letzten Treffen haben sich eingebrannt. Jede Kleinigkeit. Kaum greifbar hat es sich angefühlt, als ich beim nächsten Wimpernschlag beim Bestatter saß.
Man sagt, das Leben ist ein Lehrmeister. Es hat mich nicht unversehrt gelassen und gleichzeitig gezeigt, aber es hat mir gezeigt: Trauern ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Liebe.
Nicht trotz der Trauer, sondern mit ihr entsteht wieder Verbundenheit zum Leben.
Der Weg durch den Schmerz
Lange Zeit war ich ständig in Bewegung.
Von Tag zu Tag, von Termin zu Termin, von Aufgabe zu Aufgabe. Bewegung bedeutete Kontrolle . Und Kontrolle bedeutete, nichts fühlen zu müssen.
Als der geliebte Mensch starb, lief ich noch schneller: zwischen Terminen, Arbeit, Zuhause, Familie. Nur nicht stehen bleiben. Nur nicht fühlen. Mein Überstundenkonto explodierte quasi. Mein Schlafkonto war im Minus.

Dann bekam ich ein kleines Buch geschenkt.
Darin stand ein Satz, der mitten in meinem Chaos landete:
Du hast eine Verabredung mit dem Leben.
Und das Leben findet jetzt statt – nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft.
(aus: Peace Is Every Step, Bantam Books, von Thich Nhat Hanh, 1991)
Damals, in diesen Tagen und Wochen verstand ich dieses Zitat nicht vollständig, ich fand es in manchen Momenten sogar nicht so toll. Zeitgleich ich begann zu ahnen:
Das Jetzt ist der einzige Ort, an dem ich atmen kann.
Nicht als Flucht, sondern als Halt.
Sechs Jahre sind vergangen. Ich lebe. Ich lache. Ich freue mich.
Und ich begleite Menschen, die einen Verlust erlitten haben, mit professionellen Blick & Tools, Empathie und eigener Erfahrung.
Und ich spüre noch heute, wie viel Wahrheit in diesen Satz liegt.
Denn was das Leben mir und meinen Klienten immer wieder zeigt: Hoffnung ist möglich, nicht trotz der Trauer, sondern durch sie.
Achtsamkeit inmitten der Angst
Angst kann alles verengen. Körperlich macht Sie unseren Brustkorb eng. Der Puls steigt.
Ein geliebter Mensch, der plötzlich nicht mehr da ist – und du stehst neben dir, hilflos, voller Sorge, voller Trauer.
In einem dieser Momente kam es zu einem kurzen Gespräch:
„Wovor hast du Angst?“ – „Vor dem, was kommt.“
„Und was ist jetzt?“.
Ein kurzer Atemzug, ein Blick aus dem Fenster: „Jetzt scheint die Sonne.“
Das war der Moment, in dem mir klar wurde:
Das Jetzt und das Hier nimmt der Angst ihre Macht.
Nicht, weil sie sie weg macht, sondern weil sie uns erdet – ja als Wegweiser, wo das Leben tatsächlich stattfindet.

Angst ist ein stiller Begleiter, den wir oft am liebsten loswerden würden. Sie macht eng, raubt den Atem, lässt uns nachts wachliegen. Besonders in Zeiten von Krankheit, Verlust oder Unsicherheit scheint sie alles zu überlagern. Doch Achtsamkeit lädt uns ein, nicht vor der Angst davonzulaufen, sondern ihr – behutsam – zuzuhören.
Achtsam zu sein bedeutet nicht, dass die Angst verschwindet. Es heißt, sie wahrzunehmen, ohne sie zu bekämpfen. Zu spüren: Da ist Angst. Und gleichzeitig den Boden unter den Füßen zu fühlen, den eigenen Atem, das Licht im Raum. So entsteht ein kleiner Abstand zwischen uns und dem Gefühl, gerade so viel, dass wieder Luft hineinkommt.
Das Schwierige an der Angst ist oft nicht sie selbst, sondern das, was wir über sie denken: Ich darf so nicht fühlen. Ich muss stark sein. Ich halte das nicht aus. Diese inneren Sätze lassen die Angst wachsen. Achtsamkeit unterbricht diesen Kreislauf. Sie führt uns zurück in den Moment – dahin, wo das Leben tatsächlich stattfindet.
Wenn wir ganz im Jetzt ankommen, bemerken wir: Angst lebt von dem, was noch nicht da ist, von dem, was wir befürchten. Das Jetzt dagegen ist meist stiller, klarer, tragfähiger, als wir denken. Vielleicht ist genau das ihre größte Einladung: zu atmen, zu spüren, präsent zu bleiben, während alles in uns nach Kontrolle ruft.
Ich erlebe immer wieder, dass Angst sich verändert, wenn sie gesehen wird. Sie wird weniger laut, manchmal sogar weich. Manchmal zeigt sie, was uns wirklich wichtig ist: Nähe, Sicherheit, Verbindung, Vertrauen.
Achtsamkeit inmitten der Angst bedeutet also nicht, stark zu sein. Es bedeutet, ehrlich zu sein. Da zu bleiben. Mit sich. Mit dem, was ist. Und zu wissen: Auch inmitten der Angst darfst du atmen, fühlen, leben. In deinem Tempo.
Wenn das Leben in Scherben liegt
Ein Scherbenhaufen, ja das blieb gefühlt vom Verlust übrig.
Selbst Dankbarkeit für das Offensichtliche – für den Atem, für den Wald, für ein Stück Schokolade – wirkte leer.
Erst in einer Gruppe von Trauernden fand ich etwas, das mir gefehlt hatte: Mitgefühl, vor allem für mich selbst.
Ich verstand dort: Trauer ist nichts, das man „überwinden“ muss.
Sie ist der Weg selbst.
Sie will gefühlt, gesehen und gehört werden.
Nicht das Wegdrücken hilft, sondern das Hinwenden.
Was du fühlst, darf sich verändern.
Ein Scherbenhaufen – so fühlte es sich an.
Nichts schien ganz, nichts heil. Der Alltag lief irgendwie weiter, aber innerlich war alles still geworden. Selbst Dankbarkeit, die sonst half – für den Atem, für den Wald, für ein Stück Schokolade – fühlte sich leer an. Worte prallten ab, Trost kam nicht an. Der Verlust hatte alles verändert.
In dieser Stille wurde mir etwas klar: Trauer ist nichts, das man hinter sich lassen muss. Sie ist kein Berg, den man überquert, um irgendwann „drüben“ wieder normal zu sein. Trauer ist der Weg selbst. Sie verändert sich, sie bewegt sich – manchmal kaum merklich, manchmal spürbar mit jeder Faser. Aber sie bleibt Teil des Lebens, so wie Liebe Teil des Lebens bleibt.
Viele Menschen glauben, sie müssten die Trauer loswerden, um wieder leben zu können. Doch das Gegenteil ist wahr: Erst wenn wir uns ihr zuwenden, wenn wir sie wirklich fühlen, beginnt das Leben wieder zu fließen. Nicht das Wegdrücken hilft, sondern das Hinwenden.
Dieses Hinwenden kann ganz unscheinbar sein – ein Moment, in dem du dich erlaubst zu weinen. Ein Spaziergang, bei dem du plötzlich stehen bleibst und spürst: Ja, es tut weh, und trotzdem bin ich hier. Ein Atemzug, der nicht mehr gegen den Schmerz gerichtet ist, sondern mit ihm.
Was du fühlst, darf sich verändern.
Nicht, weil du es kontrollierst, sondern weil jedes Gefühl, das Raum bekommt, sich wandeln kann. Trauer bleibt, aber sie verändert ihre Gestalt: Sie wird weicher, wärmer, manchmal sogar zu einer stillen Form von Liebe.
Vielleicht ist das, was vom Scherbenhaufen übrig bleibt, nicht das Ende – sondern der Beginn von etwas Echtem: einer neuen Beziehung zu dir selbst, zu dem, was war, und zu dem, was bleibt.
What you feel, you can face.
von John Gray, dem US-amerikanischen Psychologen und Autor
Die Trauer umarmen
Thich Nhat Hanh schrieb:
Wenn dein Baby weint, rennst du nicht davon.
Du nimmst es in den Arm, bis es sich beruhigt hat.
So ist es auch mit deinen Gefühlen.
Unsere Trauer ist wie dieses weinende Kind in uns.
Sie will gesehen und gehalten werden, nicht weggeschoben und ignoriert.
ich beschäftigte mich viel mit Achtsamkeit und mit der Zeit wurde der Schmerz weicher.
Nicht kleiner, aber anders, lebendiger, beweglicher. Ich konnte mit ihm atmen.
Ich verstand:
Trauern ist nicht das Problem. Trauern ist die Lösung.
Denn Trauer ist Liebe. Liebe, die vermeintlich keinen Ort mehr findet und sich deshalb in uns verwandeln möchte.
Achtsamkeit als Weg zurück ins Leben
Trauer bringt uns an Grenzen, die wir nie kennenlernen wollten.
Sie zieht uns aus dem Alltag, aus der Zeit, manchmal sogar aus uns selbst. Alles, was vorher selbstverständlich war – Atmen, Essen, Schlafen, Denken – fühlt sich plötzlich schwer oder sinnlos an. In dieser Tiefe kann Achtsamkeit wie ein leiser Faden wirken, der dich Schritt für Schritt zurück ins Leben führt.
Achtsamkeit ist kein Werkzeug, um wieder zu „funktionieren“.
Sie ist eine innere Haltung, im Mitten von Choas. Sie trägt uns, wenn nichts anderes trägt. Wenn Freunde, Kollegen und Verwandte genug von unserer Trauer haben, ja sich vielleicht deshalb sogar abwenden.
Wenn wir Schmerz achtsam betrachten, verliert er seine Kraft.
Wenn wir Freude achtsam betrachten, wird sie tiefer.
So entstehen neue Wege in uns – leise, beständig, nährend.
Ich habe gelernt: Wir können nicht „zu viel“ trauern, nur zu wenig Raum dafür geben.
Trauer braucht Platz, um gehört und geteilt zu werden. Wenn wir unserer Trauer diesen Raum schenken, verwandelt sie sich in Mitgefühl, Weichheit und eine stille, tiefe Liebe zum Leben.
Achtsamkeit bedeutet nicht, dass du deinen Schmerz beobachtest, um ihn „loszuwerden“. Sie hilft dir vielmehr, ihm zu begegnen – ohne zu urteilen, ohne ihn zu überdecken. Wenn du lernst, im Augenblick zu bleiben, auch wenn dieser Augenblick weh tut, öffnet sich langsam ein Raum zwischen dir und dem Schmerz. In diesem Raum kannst du atmen. Du erkennst: Ich bin traurig – aber ich bin mehr als meine Trauer.
Viele Menschen versuchen, Trauer mit Ablenkung zu überbrücken. Und ja, manchmal ist das notwendig, um zu überleben. Doch wenn du dich immer wieder bewusst kleinen Momenten der Präsenz zuwendest – deinem Atem, einer Tasse Tee, dem Wind auf deiner Haut – stärkst du dein Nervensystem und gibst deinem Körper das Signal: Ich bin sicher. Ich darf fühlen.
Achtsamkeit schafft damit genau das, was Trauer so dringend braucht: einen Halt im Haltlosen. Sie hilft, den Schmerz zu integrieren, statt ihn zu bekämpfen.
Tipp, wenn die Trauer dich überrollt
Wenn du merkst, dass die Wellen der Trauer dich überrollen, lege eine Hand auf dein Herz und sage dir leise:
„Ich atme. Ich bin hier. Ich darf traurig sein.“
Bleib für drei bewusste Atemzüge bei dir, spüre deine Hand und deinen Herzschlag.
Diese einfache Geste bringt dich in den Moment zurück und stabilisiert dein Nervensystem – besonders dann, wenn Gedanken oder Gefühle zu viel werden.
Gib deiner Traurigkeit Zeit
Ein Gedicht vom Mystikers und Dichters Hāfez (auch Hafis) aus dem 14. Jh. begleitet mich seit Jahren:
Gib deine Traurigkeit nicht so schnell auf.
Lass sie tiefer in dich eindringen.
Lass sie dich würzen,
wie nur wenige erlesene Zutaten es können.
Vielleicht liegt genau darin der Weg zurück ins Leben, nicht im Verschwinden des Schmerzes, sondern in der Kraft, ihn zu halten und dabei zu spüren: Ich bin da. Ich lebe. Jetzt.
Wenn Leere, Scham oder Schuld auftauchen
Manchmal hinterlässt ein Verlust nicht nur Trauer, sondern tiefe Spuren im Inneren.
Leere, Schuld oder Scham können auftauchen und oft fehlen die Worte.
In meiner traumasensiblen Trauerbegleitung biete ich dir (oder euch als Paar) einen geschützten Raum, in dem alles Platz haben darf: Schmerz, Erinnerungen, Wut, Liebe, Stille.
Gemeinsam schauen wir, was dich trägt. Schritt für Schritt, in deinem Tempo.


